Krieg der Pfandflaschen

Mehrweg versus EinWeg mit Pfand - Nachdruck aus dem Mittelstandsmagazin 04/2017

Frauke Helf, Chefin der Rhodius Mineralquellen, kann diese Diskussion nicht mehr hören. Im Lager stapeln sich meterhohe Paletten mit Leergut aus Glasflaschen. Getränkegroßhändler bringen die Kästen zurück, damit sie neu mit Mineralwasser befüllt werden können. Aber nicht auf allen Glasflaschen findet die Unternehmerin ihr Etikett „Rhodius“. Denn die Lastwagen bringen auch fremde Flaschen zurück, die Frauke Helfs Mitarbeiter nicht wieder befüllen können. Hunderte jeden Tag. Rhodius könnte die vielen Individualflaschen sammeln und sie dann zu den jeweiligen Herstellern zurückbringen. „Das können wir nicht leisten“, sagt Frauke Helf. Der mittelständische Betrieb habe nicht die Kapazitäten, die Fremdflaschen zu sammeln, zu sortieren und mehrere hundert Kilometer durch die Republik zurück zum Hersteller zu fahren. „Regional hat Mehrweg sicherlich viele Vorteile, aber national sieht das ganz anders aus”, so Helf. Und so landen viele Mehrwegflaschen im Altglasrecycling. Genau das zeigt auf, an welchen Stellen es im Mehrwegsystem besonders hakt.

Frau Helf, Rhodius

Trotzdem streiten sich Umweltverbände nach wie vor mit der Industrie. Die Umweltlobbyisten verlangen, dass die Getränkehersteller ihre Produkte in Mehrwegflaschen verkaufen. Vehement fordern sie die Abschaffung von Einweg, das umweltschädlich sei und mittelständische Unternehmen benachteiligen würde. Doch das Image „Dose schlecht, Mehrwegflasche gut“ ist längst überholt. Mit der Einführung des Einwegpfandes vor 14 Jahren wollte der damalige Grünen-Bundesumweltminister Jürgen Trittin dafür sorgen, dass Einwegverpackungen unattraktiver werden und sich der Anteil der Mehrwegverpackungen wieder erhöht. Doch das Gegenteil passierte: Weil Verbraucher nun für Mehrweg und Einweg Pfand zahlten, war der Unterschied für viele nicht mehr erkennbar. Zugleich etablierte sich ein gut funktionierendes Rücknahmesystem. Laut einer Analyse der Unternehmensberatung PwC von Mehrweg- und Recyclingsystemen bringen die Verbraucher die bepfandeten Kunststoffflaschen und Dosen zu 98,5 Prozent zurück in den Supermarkt oder Discounter, sodass so gut wie kein Müll mehr durch diese Verpackungen entsteht. Zugleich sind Einwegverpackungen insgesamt leichter geworden, und das Recycling klappt: Das Metall der eingesammelten Dosen wird zu 100 Prozent wiederverwertet. Bei den Ökobilanzen kann Einweg also aufholen.

Die Einweg-Abfüllanlage bei Rhodius Mineralquellen / © Mittelstandsmagazin

Transportwege für Mehrweg verhageln Ökobilanz

Auch die Trinkgewohnheiten der Deutschen haben sich in den letzten 20 Jahren verändert. Wenn der Opa früher noch das Bier aus der im Ort ansässigen Brauerei trank, kauft sich sein Enkel heute das Bier, das er im Werbevideo im Netz sieht. Die Transportwege zwischen Hersteller, Großhändler, Händler und Kunde sind deshalb deutlich länger geworden. Die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) hat 2011 ausgerechnet, dass Lieferwege für Bier von mehr als 400 Kilometer auf der Tagesordnung für große Brauereien stehen. Im Durchschnitt würden Abfüllort und Verbraucher 216 Kilometer voneinander trennen. „Die Transportentfernungen haben einen wesentlichen Einfluss auf die ökologische Bewertung der Verpackungen“, sagt die Bundestagsabgeordnete Marie-Luise Dött MdB, Mitglied im MIT-Bundesvorstand und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Umwelt der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Die Transportwege bei Mehrweg haben durch die vielen verschiedenen Flaschentypen in den vergangenen Jahren zugenommen und das verhagelt dann die Ökobilanz“, sagt Dött. Ganz früher gab es für Bier und Mineralwasser nur jeweils ein Verpackungssystem. Dieses System wurde von fast allen Getränkeherstellern genutzt, war also austauschbar. Lediglich die Etiketten waren unterschiedlich.

Heute sind rund 1500 Individualflaschen auf dem Markt. Besonders in der Bierindustrie ist den großen Marken ihr Wiedererkennungswert wichtig. Hasseröder verkauft sein Bier in einem sechseckigen Flaschenhals, Bitburger und Veltins lassen ihre Namen auf die Flasche prägen. So wollen sie sich von der Konkurrenz abheben und ihre Produkte individuell vermarkten. Bei Mehrwegflaschen aus der jeweiligen Region, die dann als Leergut zurückgebracht werden, sei das kein Problem, sagt Dött: „Da sieht die Bilanz naturgemäß besser aus.“ Besonders Umweltlobbyisten werben neben der Regionalität damit, dass Mehrwegflaschen bis zu 70 Mal wieder befüllt werden können. Doch auch das hat sich in den letzten Jahren verändert. Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte von 2013, die im Auftrag von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie und dem Handelsverband Deutschland in den Abfüllbetrieben vor Ort erstmals breitflächig gezählt hat, zeigt, dass zum Beispiel individuelle Bier-Mehrwegflaschen im Durschnitt nur viermal wieder befüllt werden, wenn kein Tauschgeschäft stattfindet. Nimmt man dagegen an, dass ein Tauschgeschäft zu 100 Prozent stattfindet, was – siehe Rhodius – nicht passiert, können nur 23 Umläufe erreicht werden. Die tatsächliche Zahl der Wiederbefüllungen liegt irgendwo zwischen vier und 23 Umläufen und damit weit unter der von Umweltaktivisten genannten Zahl von 70 Befüllungen.

Nicht nur die eigenen, sondern auch viele Fremdflaschen kommen bei Rhodius wieder an und müssen sortiert werden / © Mittelstandsmagazin

Einweg wichtiges Standbein für den Mittelstand

Mehrweg ist schon lange nicht mehr das einzige Standbein von mittelständischen Getränkeherstellern. Bei einer aktuellen Mehrweg-Quote von 45,5 Prozent haben die Hersteller auf die veränderten Bedürfnisse der Verbraucher in den letzten Jahren reagiert und auch auf Einweg gesetzt. „Nur mit Mehrweg könnten wir unser Unternehmen nicht so erfolgreich führen“, sagt Frauke Helf von Rhodius. Seit neun Jahren arbeitet sie im Betrieb, der seit Jahrzehnten familiengeführt ist. Im Juli 2017 übernahm sie die Geschäftsführung, die sie sich unter anderem mit ihrem Bruder Hannes Tack teilt. „Wir wollen das auf den Markt bringen, was der Verbraucher sich wünscht“, sagt Helf. Der Konsument solle darüber entscheiden, welches Produkt er kaufen möchte. Denn Einweg hat viele Vorteile: Statt einen rund 20-Kilogramm-schweren Kasten Mineralwasser nach Hause zu schleppen, greifen viele Konsumenten auf die deutlich leichteren PET-Sixpacks zurück, die in der Regel nur sieben Kilogramm wiegen. Und auch für unterwegs greifen viele zur PET-Flasche oder Dose, da sie handlicher, stabiler und einfacher zu transportieren sind.

Auch die Produktvielfalt ist in der Getränkeindustrie entscheidend. Denn junge Unternehmen und Startups haben meist nicht das Geld, ihre neuen Getränke in Glasflaschen abfüllen zu lassen. „Sie kommen dann zu Betrieben wie uns und lassen ihr Produkt in der Dose abfüllen. Das spart Startkosten und kann vor allem sofort in ganz Deutschland ausgeliefert werden“, sagt Frauke Helf. Das meint auch Wolfgang Burgard, Geschäftsführer beim Bund Getränkeverpackungen der Zukunft (BGVZ): „Die Produktvielfalt ist Teil der Sozialen Marktwirtschaft, deshalb haben Einweg und Mehrweg beide ihre Daseinsberechtigung.“ Niemand dürfe den Verbrauchern die Entscheidungsfreiheit weggenehmen. Die Politik solle Rahmenbedingungen schaffen, wie zum Beispiel ambitionierte Recyclingquoten, um Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen.

Neues Verpackungsgesetz ab 2019

Ab 2019 tritt dennoch ein neues Verpackungsgesetz in Kraft, in dem die Große Koalition eine Zielquote für Mehrweg in Höhe von 70 Prozent festgelegt hat, allerdings ohne Rechtsfolgen. Getränkehersteller wie Rhodius Mineralquellen kritisieren die Quote trotzdem als das falsche Signal. Sie sind fest davon überzeugt, dass sie nicht erreicht werden wird. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die Quote, aber aus einer anderen Richtung. Sie wünscht sich mehr Verbindlichkeit im Gesetz: „Wir fordern Konsequenzen, wenn die Quote nicht eingehalten wird“, sagt Thomas Fischer, Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft bei der DUH. „Die Mehrwegquote muss gesteigert werden, wenn die Bundesregierung es ernst mit der Erreichung der gesetzten Klimaschutzziele meint.“ Damit Hersteller die Quote einhalten, fordert die DUH eine von ihr so genannte „Klimaschutzabgabe“ auf Einwegverpackungen von 20 Cent, zusätzlich zum Pfand. Das soll vor allem einen ökonomischen Anreiz für die großen Discounter setzen, die teilweise gar kein Mehrweg mehr in ihren Filialen verkaufen. Diese Abgabe soll sich dann im Produktpreis niederschlagen und trifft somit den Verbraucher.

Bei der Union erntet die DUH damit Widerstand: „Ich werde keinem Hersteller oder Abfüller vorschreiben, welche Flasche er benutzen soll“, sagt die CDU-Umweltpolitikerin Marie-Luise Dött. „Das ist nicht Aufgabe von Politik, so wie ich sie verstehe“. Wichtig sei ein politischer Rahmen, der die Entwicklung in die ökologisch beste Richtung leite. Und das könne erst diskutiert werden, wenn aktuelle Ökobilanzen vorlägen. Denn Verbände wie die DUH argumentieren mit Fakten aus Ökobilanzen, die längst veraltet sind. Deshalb erarbeitet das Umweltbundesamt derzeit eine neue Bilanz, die Aufschluss darüber geben soll, wie ökologisch sinnvoll Mehrweg tatsächlich noch ist. Dabei ist sich Franz Egerer, Geschäftsführer der bayerischen Brauerei Egerer, sicher, dass Einweg ökologisch aufgeholt hat. Der Mittelständler füllt neben Mehrwegflaschen auch Dosen ab. Er ärgert sich, dass Umweltaktivisten versuchen, ihm dieses Standbein wegzunehmen. „Das ist Planwirtschaft für mich“, sagt der Unternehmer, der die 100-Jahre-alte Brauerei in vierter Generation führt. Ohne die Dose könne er viele Produkte nicht mehr anbieten, unter anderem die Lohnabfüllung für kleinere Hersteller. Erst diesen Sommer wandte sich ein Mittelständler an ihn, damit Egerer für ihn ein spezielles Festival-Bier abfüllt.

Einweg lohnt sich also nicht nur für die großen Getränkekonzerne. „Eine Zwangsabgabe auf die Dose wäre für uns eine Katastrophe“, sagt Egerer. Er fordert, dass Entscheidungen nur auf Grundlage neuer Ökobilanzen getroffen werden. Für ihn gilt genauso wie für Frauke Helf von Rhodius: Wenn die Einweg-Produktion durch eine Zwangsabgabe heruntergefahren werden müsste, wäre das investierte Geld in neue Abfüllanlagen verloren. „Das würde uns bis ins Mark treffen“, so Helf. Und der Umwelt, da ist sie sich sicher, würde das gar nichts bringen.

Katharina-Luise Kittler, Politische Referentin und Redakteurin Mittelstandsmagazin

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Das Mittelstandsmagazin ist die Zeitschrift der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT). Das Magazin erscheint sechsmal jährlich. Zu den mehr als 100.000 Lesern pro Ausgabe zählen neben den Mitgliedern der MIT vor allem Entscheider und Meinungsbildner aus den Führungsebenen von Wirtschaft, Politik und Verwaltung sowie Journalisten. Mit der ersten Ausgabe 2017 erfolgte ein umfassender Relaunch des Magazins.

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