„Es war einmal ...“ Die Mär vom Mehrweg

Die Mär vom Mehrweg

Seit Einführung des DPG-Pfandsystems im Jahr 2006 reißt die Diskussion um leere Flaschen und die unterschiedlichen Systeme nicht ab. Umweltlobbyisten werden nicht müde, die Fahne für Mehrweg mit Pfand hoch zuhalten. Dabei übersehen sie die Veränderungen der letzten Jahre, die sich längst massiv auf das Mehrweg-Pfandsystem auswirken. Der „ökologische Vorteil ist weit weniger eindeutig als von Abgabe-Befürwortern dargestellt.“1 Wer den Wandel der Mehrwegflasche mit Pfand nicht in eigene Betrachtungen einbezieht, ignoriert die existierenden Fakten.

Ökokiller Designerflasche

Es ist ausgerechnet das in Deutschland so beliebte Bier, welches das viel gerühmte Mehrweg-Pfandsystem ins Wanken bringt. Doch bei einem Absatz von 93,5 Millionen Hektoliter im Jahr 20172 bleibt dieses nicht aus. Entscheidend ist dabei nicht die getrunkene Menge, sondern die Flaschenform: Existierte Anfang der 1980-er Jahre lediglich eine Standardflasche, die sogenannte Mehrweg-Poolflasche „Euro“, waren es ein Jahrzehnt später schon mehrere Mehrweg-Flaschentypen. Bei diesen blieb es allerdings nicht. Längst sind bei Bier und alkoholfreien Getränken über 1.500 Individualflaschen auf dem Markt; bei den Kästen sind es sogar über 3.000 verschiedene.3 Genau diese Vielfalt bringt Komplexität und damit Probleme.

Mehrweg-Individualflaschen müssen zum Ursprungsabfüller

Schlank, plump, normale Größe, größer als üblich, rund, eckig – immer mehr Brauereien, Mineralbrunnen-, Saft- sowie Limonadenhersteller legen Wert auf individuelle Flaschen, den Mehrweg-Individualflaschen. Mögen die Flaschen noch so ästhetisch sein, den Konsumenten ins Auge fallen und sich von der Konkurrenz absetzen, die Abkehr von der Standardflasche, die einst von nahezu allen Abfüllern genutzt werden konnte, hat erhebliche Folgen. Statt wie früher leere Mehrwegflaschen mit Pfand einfach zum nächstgelegenen Abfüller zu transportieren, müssen sie jetzt zum jeweiligen Ursprungsabfüller, da die Individualflaschen nur dort befüllt werden können. Doch nicht jeder Bierkasten enthält Flaschen einer Marke und der gleichen Form, weil weder der Kunde noch der Handel die Flaschen sortiert. Damit landen bei den Herstellern immer mehr falsche Mehrwegflaschen mit Pfand. Das Ergebnis dieser Irrläufer: Der Aufwand in den Brauereien hat sich mit dem Aufkommen der Mehrweg-Individualflaschen erheblich erhöht. So mussten bereits Mitte der 2010er-Jahre rund eine Milliarde individuelle Flaschen4 manuell durch zusätzliche Arbeitskräfte oder durch kostspielige technologische Geräte von den eigenen getrennt und separat aufbewahrt werden. Anschließend wurden sie im Austausch mit eigenen fehlgeleiteten Flaschen zum Ursprungshersteller geliefert oder unter dem üblichen Marktpreis an Leerguthändler veräußert, die wiederum die leeren Mehrwegflaschen mit Pfand zum Eigentümer transportierten.5 Inzwischen muss fast jede dritte Flasche aussortiert werden, wie der Leiter des Sortierzentrums der niedersächsischen Einbecker Brauhaus AG Problem der Mehrweg-Individualflasche verdeutlicht.6 Bei der Löbauer Bergquelle-Brauerei sind bis zu 40 Prozent nicht wiederverwertbar.7

Leergutmangel bei Mehrweg im Sommer 2018

Der leerguthortende Verbraucher ist das geringste Problem. Der wahre Engpass liegt woanders. Bei der Sortierung vor allem bei der Logistik für Voll- wie Leergut. Neben der Verknappung von Leergut ist das weitere Problem die Verknappung von Kapazitäten und hier besonders von Fahrern. Die Waren- und Leergutversorgung über den GFGH gilt plötzlich als Steuerpult der Warenwirtschaft.

Durchschnittliche Transportwege bei Bier

Weniger oft befüllt, weitere Wege

Findet kein Austausch statt, sinkt die Wiederbefüllung: Statt - wie Anfang der 2000er-Jahre geschätzt - bis zu 50 Mal wiederbefüllt zu werden, werden Bier-Mehrweg-Individualflaschen laut einer Deloitte-Studie aus dem Jahr 2013 durchschnittlich lediglich viermal wiederbefüllt. Zu diesem Ergebnis kam die Unternehmensberatung, die im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie und dem Handelsverband Deutschland die Umlaufzahlen und Transportentfernungen der Getränkeverpackungen ermittelte.8

Ging die Ökobilanz 2015 bei Bier von geschätzten 50 Umläufen aus, werden beispielsweise bei einer der größten Brauereien Deutschlands die Flaschen nur zu 20 Mal befüllt. Der Geschäftsführer der Schlossbrauerei Fürstlich Drehna fand im Jahr 2012 eine rigorose Lösung für das Problem, das die Mehrweg-Individualflasche brachte: Er kauft seitdem 85 Prozent aller seiner Bierflaschen neu auf.9 Dennoch gibt es einen Gewinner dieses Pfandsystems: die Logistikunternehmen, welche die leeren Mehrweg-Individualflaschen durch Deutschland zum jeweiligen Ursprungsabfüller transportieren. Der „Glastourismus“ boomt – zu Lasten der Umwelt.

Angaben der durchschnittlichen Lademenge auf einem LKW mit 40 Tonnen

Bei der Transporteffizienz ist Mehrweg weit abgeschlagen10

Mehrweg-Glasflaschen haben einen gewichtigen Nachteil gegenüber EinWeg-PET-Flaschen und EinWeg-Dosen: Sie sind wesentlich schwerer. Bereits aus diesem Grund benötigen sie für den Weg vom Verpackungshersteller zum Getränkeabfüller deutlich mehr Energie. Dabei bleibt es nicht. Geht es zum Handel, transportiert ein mit 0,5-Liter-Mehrweg-Glasflaschen beladener LKW nur halb so viel wie einer mit 0,5-Liter-Dosen. Während ein LKW etwa 15.000 0,7-Liter-Mehrweg-Glasflaschen – und somit lediglich 10.500 Liter – ans Ziel bringt, kommen mit 15.000 1,5-Liter-PET-Flaschen gleich 22.500 Liter in den Handel. Beachtliche 42.336 0,5-Liter-EinWeg-Dosen passen in einen LKW – das entspricht 21.168 Liter. Anders ausgedrückt: Um die gleiche Getränkemenge in den Handel zu bringen, muss ein mit Mehrweg-Glasflaschen bepackter LKW doppelt so oft fahren oder es wird gleich ein zweiter LKW eingesetzt. Beides erhöht die CO2-Emissionen.

Weitaus gravierender ist die Transporteffizienz beim Rücktransport: Mehrweg-Glasflaschen sind zwar leer, ansonsten unverändert. Dagegen werden die von den Konsumenten zurückgebrachten leeren EinWeg-Dosen und EinWeg-PET-Flaschen meist schon im Handel zu Ballen gepresst, bevor es – statt wie bei den Mehrweg-Glasflaschen zum hoffentlich jeweils richtigen Abfüller – zur nächsten gelegenen Recyclingstelle geht.

Mehrweg ist kein Leichtgewicht

Warum sollte die Verpackung bedeutend schwerer sein als der Inhalt? Eben. Geht es um die Gewichtseffizienz, verliert Mehrweg ebenfalls eindeutig. So ist bereits eine 0,5 Liter NRW-Bierflasche mit 360 Gramm ein wahres Schwergewicht. Im Vergleich zum Inhalt beträgt der prozentuale Anteil der Verpackung satte 71,5 Prozent. Auch hier ist EinWeg mit Pfand unschlagbar: Mit einem Inhalt von 0,5 Liter wiegt die Aluminiumdose gerade einmal 15,6 Gramm. Damit beträgt das Verhältnis zum Inhalt 3,1 Prozent. Die 0,5 Liter PET-Flasche bringt mit 22 Gramm etwas mehr auf die Waage, ist aber mit 4,3 Prozent ebenfalls weitaus effizienter als Mehrweg-Glasflaschen.

Getränkeverpackungen, CO2 und Klimawandel

Nicht nur in Deutschland wird über Getränkeverpackungen diskutiert. Im Auftrag der Altstoff Recycling Austria AG (ARA AG Wien), des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft sowie des Fachverband der Nahrungs- und Genussmittelindustrie erstellte das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH (ifeu) 2010 die Studie „Ökobilanz von Getränkeverpackungen in Österreich“.11 Aus dem gleichen Jahr stammt die Studie „Ökobilanzielle Untersuchung verschiedener Verpackungssysteme für Bier“, die ifeu im Auftrag des Branchenverbandes BCME durchführte.

Kg CO2-Äquivalente pro 1.000 Liter Getränke (Distributionsentfernung 400 km, Allokation 100 Prozent) 12

Aluminiumdose PET (klar) Glas-Mehrweg (1 Umlauf) Glas-Mehrweg (5 Umlauf) Glas-Mehrweg (10 Umlauf) Glas-Mehrweg (25 Umlauf)
148 187 437 208 175 156
100% 126% 295% 141% 118% 105%

Das bedeutet, dass eine Mehrweg-Glasflasche über 25 Umläufe haben muss, um weniger CO2-Äquivalente zu erzeugen als eine Aluminiumdose. Im Vergleich zu einer PET-Flasche muss sie etwa acht Umläufe haben, um weniger CO2-Äquivalente zu erzeugen.

Individualflaschen sind zwar schön, haben aber zu viele Nachteile

Das Loslösen von der Mehrweg-Poolflasche reduzierte die Wirtschaftlichkeit bei zunehmender Komplexität. Letztere wirkt auf allen Ebenen: im Großhandel, in der Produktion, im Einzelhandel und bei den Verbrauchern. Finanziell wirken sich die Individualflaschen gerade auf kleine Brauereien aus. Sie können häufig weder in weitere Arbeitskräfte noch in teure technologische Apparate investieren, um irrgeleitete Mehrweg-Glasflaschen zu sortieren, um sie dann an den Ursprungsabfüller zu transportieren. Schließlich muss auch dieses finanziert werden. So ansprechend und markant das individuelle Design der Mehrweg-Flaschen sein mag, der ökologische Vorteil, den das Mehrweg-Pfandsystem einst hatte, gehört seit ihrem Aufkommen längst der Vergangenheit an. Zudem wirkt sich die deutlich schwerere Glasflasche auf die Transportmenge, die Anzahl der Transporte und somit nachteilig auf die Umwelt auf. Ein weiterer Faktor spricht gegen Glasflaschen: Sie sind nicht bruchsicher!

Quellenangaben

1: Die Ökonomie der Getränkeverpackung, DIW, 2016
2: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2018/02/PD18_035_799.html
3: Broschüre Argumente und Fakten des BGVZ
4,5,7: Freie Presse, „Der Preis der Schönheit“, Jürgen Becker, 13.06.2014
6: SPIEGEL ONLINE, „Bierflaschen als Problem“, Florian Schumacher, Anne Martin, 20.11.2016
8,10: Deloitte-Studie, 2013
9: Märkische Allgemeine Zeitung, „Neue Flaschen schaden Kleinbrauereien“, 17.07.2013, Online-Ausgabe
11: https://www.ifeu.de/oekobilanzen/pdf/Oekobilanz_ Getraenkeverpackungen_Oesterreich 2010_Langfassung.pdf
12: https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/100406_IFEU_BCME_LCA_Oekobilanz.pdf

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