Denken in Wertstoffkreisläufen

Wertstoffkreisläufe
Dr. Henning Wilts vom Wuppertal Institut

Ein Beitrag von Dr. Henning Wilts vom Wuppertal Institut

Unser gesamter Lebensstil, sämtliche unserer Produktions- und Konsummuster basieren auf der Nutzung natürlicher Ressourcen – erneuerbar wie Wälder oder Fischbestände oder nicht-erneuerbar wie Rohstoffvorkommen. Befeuert durch die Entwicklung der Weltwirtschaft, durch die rasant gewachsene Weltbevölkerung und insbesondere durch das Heranwachsen einer nach westlichen Konsummustern strebenden globalen Mittelschicht, hat sich die Inanspruchnahme der vier wichtigsten Rohstoffe – Biomasse, fossile Energieträger, Metalle und Mineralien – im Zeitraum 1970 bis 2017 fast verdreifacht: von 26,7 Mrd. Tonnen auf 75,6 Mrd. Tonnen pro Jahr. Unser Ressourcenverbrauch ist damit der wesentliche Treiber globaler Umweltkatastrophen wie des Klimawandels, des fortgesetzten Artensterbens oder des dramatischen Verlusts an globaler Ackerfläche – gleichzeitig rechnet der UNEP Weltressourcenrat mit einer weiteren Verdopplung der Ressourceninanspruchnahme bis zum Jahr 2050, mit unabsehbaren ökologischen, aber auch ökonomischen und sozialen Folgen.

Vor diesem Hintergrund gilt es, unsere Ressourcen radikal effizienter zu nutzen, als wir das bisher tun: Unser bisheriges, lineares System des Rohstoffabbaus, einer oft sehr kurzen Nutzungsphase und der anschließenden Entsorgung verschwendet einen Großteil der Ressourcen, die für die Herstellung von Produkten, Komponenten und darin enthaltenen Rohstoffen aufgewendet werden müssen. Es gilt also, unsere Produktions- und Konsummuster in Richtung einer Kreislaufwirtschaft umzugestalten, bei dem Rohstoffe möglichst optimal zurückgewonnen und erneut gewonnen werden. Speziell in Deutschland verwechseln wir das Prinzip der Kreislaufwirtschaft häufig mit der Idee einer optimierten Abfallwirtschaft: Die Aufgabe der Abfallwirtschaft ist es, Abfälle sicher und zuverlässig so zu entsorgen, dass sie keine Gefahr für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellen. Diese Aufgabe erfüllen sowohl unsere technische Abfallinfrastruktur als auch die abfallrechtlichen Vorgaben so gut, dass wir lange das Gefühl hatten, das Abfallproblem technisch gelöst zu haben. Tatsächlich holen uns jetzt aber die Umweltprobleme der Übernutzung unserer natürlichen Ressourcen wieder ein, die wir durch geregelte Deponierung und hochwertigste Müllverbrennung erst ermöglicht haben. In Deutschland drängen uns keine Abfallprobleme, unsere Anlagen gehören nach wie vor zu den besten der Welt – aber wir machen zu wenig aus unserem Abfall. Die folgende Tabelle zeigt, dass Deutschland in Europa die höchsten Recyclingquoten für Haushaltsabfälle erreicht; gleichzeitig ist jedoch die Wiederverwendungsrate für Abfälle in einigen Ländern wie Belgien, Frankreich oder den Niederlanden mittlerweile deutlich höher als bei uns.

Quelle: Politico 2018
  Municipal waste (per year per person) Municipal recycling rate Material reuse rate
Austria 564 kg 58 % 9 %
Belgium 420 kg 54 % 17 %
Denmark 777 kg 48 % 10 %
Estonia 376 kg 28 % 11 %
Finland 504 kg 42 % 7 %
France 511 kg 42 % 18 %
Germany 627 kg 66 % 11 %
Italy 497 kg 45 % 19 %
Luxembourg 614 kg 48 % 11 %
Malta 621 kg 7 % 10 %
Netherlands 520 kg 53 % 27 %

Über jede Abfallstatistik lässt sich trefflich streiten – aber bei uns ist die sichere Entsorgung definitiv häufig wichtiger als der geschlossene Wertstoffkreislauf. Hier liegt die eigentliche Herausforderung für die Umsetzung einer tatsächlichen Kreislaufwirtschaft: Anstatt sich noch länger auf unseren hervorragenden Recyclingquoten auszuruhen, sollte Deutschland überlegen, wie wir anstatt der Quantität der verwerteten Abfälle die Qualität der gewonnenen Sekundärrohstoffe erhöhen – was hilft uns eine Verwertungsquote von 99,5 Prozent für Kunststoff-Verpackungsabfälle, wenn der Anteil an Kunststoffrezyklat im Verpackungsbereich weiter unter 10 Prozent liegt?

Kreislaufwirtschaft kann dabei von keinem Akteur allein erreicht werden – vom kreislauffähigen Design über sinnvolle Erfassungssysteme bis hin zur hochwertigen Verwertung braucht es die Kooperation entlang der gesamten Wertschöpfungskette; genau wie einen regulatorischen Rahmen, der Kreislaufwirtschaft als Geschäftsmodell gegenüber einer Wegwerfgesellschaft wettbewerbsfähig macht. Die Kreislaufwirtschaft hat riesige ökologische und ökonomische Potenztiale, die Unternehmensberatung McKinsey hat die Kosteneinsparpotenziale für die europäische Industrie auf über 600 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt – trotzdem ist die Kreislaufwirtschaft kein Selbstläufer, sondern wird massive Investitionen in neue Technologien und Strukturen erfordern. Und am Ende wird sie nicht erfolgreich sein können, wenn der Kunde nicht auch für sich den Nutzen geschlossener Kreisläufe erkennt.

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