Das Erreichen der 70 Prozent Mehrweg-Quote und die Folgen

Zwei Studien der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) und die Fakten

70 Prozent Mehrwegquote

Seit 2019 ist das Verpackungsgesetz (VerpackG) in Kraft. Mit diesem will der Gesetzgeber unter anderem einen wesentlich höheren Mehrwegverbrauch erreichen: 70 Prozent soll die Mehrweg-Quote bis Ende 2021 betragen. Dann steht eine erste Evaluierung an. Dabei wird die Lenkungsquote ebenfalls im Mittelpunkt stehen. Die relevanten Fragen werden lauten: Steuert die Quote? Wie hat sich der Markt entwickelt? Ist die starre Quote wirklich das richtige Instrument, und welche Alternativen wären möglich? Der BGVZ gab bei der GVM zwei Studien in Auftrag, die schon jetzt Antworten haben und Zahlen liefern. Die erste Untersuchung widmet sich den Individual-Mehrwegflaschen. Die zweite zeigt, welche Konsequenzen die Zielerfüllung einer gesteuerten 70 Prozent Mehrweg-Quote hätte. Doch zunächst kommt das Wesentliche zum Verpackungsgesetz.

Was sieht das Verpackungsgesetz vor?

Mit dem Verpackungsgesetz soll das Recycling von Verpackungsabfällen gefördert werden. Seit 2019 müssen Hersteller und Händler Verpackungen zurücknehmen. Sie werden dazu angehalten, mehr zu recyceln und mehr recyclingfähige Verpackungen einzusetzen. Eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft ist unverzichtbar, um kostbare Ressourcen und die Umwelt zu schonen. Neben höheren Verwertungsquoten wurde die Pfandpflicht auf Getränke wie beispielsweise Frucht- und Gemüsenektare ausgeweitet.

Weiterhin sieht das VerpackG eine Mehrwegquote von 70 Prozent vor. Im Jahr 2017 lag der Mehrweganteil hierzulande gerade einmal bei 42,2 Prozent.

Die Studie zu den Individual-Mehrwegflaschen

Der Anstieg der Individual-Mehrwegflaschen lieferte Diskussionsstoff in den Fachkreisen und brachte zahlreiche Artikel in diversen Medien hervor. Dennoch fand bisher keine Untersuchung der quantifizierten Entwicklung statt. Genau das änderte der BGVZ und beauftragte die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung mit einer Marktanalyse. Das Ergebnis: Lag der Anteil der Individual-Mehrwegflaschen im Jahr 2012 noch bei 33 Prozent, betrug dieser fünf Jahre später 37 Prozent. Der Nachteil: Individual-Mehrwegflaschen müssen zum jeweiligen Abfüller transportiert werden – und das oft über weite Transportwege.

Was bedeutet das Erreichen der 70 Prozent Mehrweg-Quote wirtschaftlich, logistisch und ökologisch?

Die zweite vom BGVZ in Auftrag gegebene Studie beleuchtet, welche Auswirkungen eine 70 Prozent Mehrweg-Quote hätte – wirtschaftlich, logistisch und ökologisch. Die GVM-Studie liefert klare Zahlen.

Mehr Fahrten, höherer CO2-Ausstoß

Gebindeart wie Glas, Metall oder PET sowie Füllmenge bestimmen, wie viel Getränke ein Lkw mit einer Fahrt transportieren kann. Während ein LKW 24.000 Liter Getränke in EinWeg mit Pfand Verpackungen laden kann, sind es bei den Mehrweg-PET-Flaschen lediglich 16.000 Liter, bei den Mehrweg-Glasflaschen sogar nur 11.000 Liter. Weiter werden die leeren EinWeg mit Pfand Getränkeverpackungen nach der Rückgabe noch vor Ort zerkleinert. Glasflaschen nicht. Eine 70 Prozent Mehrweg-Quote heißt, dass weniger Liter transportiert werden können und somit viel mehr Touren unerlässlich. Zusätzlich wären rund 882.000 Lkw-Fahrten mit 218.000.000 Kilometern mehr erforderlich. Das wiederum hätte einen höheren CO2-Ausstoß zur Folge. Für die Natur und die Gesundheit der Menschen hätte dieser Anstieg negative Folgen.

Die GVM hat es umgerechnet. Täglich wären rund 2.850 Mehrfahrten notwendig. Das entspräche einem zusätzlichen Verkehrsaufkommen von 700.000 Kilometer. Und das pro Tag. 37 Prozent mehr Lkw wären auf den Straßen unterwegs. Für die Zunahme wird hauptsächlich der Transport der leeren Mehrwegflaschen verantwortlich sein. Auswirkungen wird es ebenfalls in der Logistik geben. Sie wird vor großen Herausforderungen stehen. So geht die GVM davon aus, dass im Jahr 2022 60.000 Lkw-Fahrer fehlen werden. Weniger Fahrer bedeuten jedoch, dass die Logistikpreise ansteigen werden.

Wie viel CO2-Ausstoß bringen die Mehrtransporte hervor?

Ein Erreichen der 70 Prozent Mehrweg-Quote mit der Zunahme der Fahrten wird den CO2-Ausstoß ansteigen lassen und die Umwelt belasten: Pro Jahr werden es stattliche 400.00 Tonnen CO2 sein. Das entspricht mehr als 6,5 Millionen Personen, die von Berlin nach Frankfurt fliegen. Dieses steht im krassen Gegensatz zu den angestrebten Klimazielen.

Was bedeutet die 70 Prozent Mehrweg-Quote für EinWeg mit Pfand?

Die GVM-Studie geht davon aus, dass die 1,5-Liter-PET-Wasserflaschen in erster Linie durch Mehrweg-PET-Flaschen ausgetauscht werden müssen, um die hohe Quote der Gesetzesgeber zu erreichen. Es wird erwartet, dass die Hersteller von Erfrischungsgetränken dann ebenfalls die Füllmenge von 1,5 Liter anbieten werden. Anders ausgedrückt: Bei einer Badewanne mit einem Füllvolumen von 150 Litern wären das 64.666.666 Badewannen Wässer, die ersetzt werden.

Was bedeutet die 70 Prozent Mehrweg-Quote für die Verbraucher?

Für die Mehrheit der Verbraucher wird es nicht überraschend kommen, schließlich sind sie es, die am Ende stets die Mehrkosten finanziell zu tragen haben. So auch in diesem Fall. Wird die 70 Prozent Mehrweg-Quote z. B. bei Wässern erreicht, kostet es sie zwischen 800 Mio. bei Mehrweg-Glasflaschen und 1,2 Mrd. Euro bei Mehrweg-PET-Flaschen. Das bedeutet: Ausgehend von einem durchschnittlichen Verbrauch von 181,3 Liter Wasser im Jahr, zahlen Konsumenten bei einem vollständigen Ersatz durch Mehrweg-PET-Flaschen im Mittel 47 Euro mehr, bei einem vollständigen Ersatz durch die Mehrweg-Glasflasche wären es 31 Euro.

Was bedeutet die 70 Prozent Mehrweg-Quote für die Haushalte?

Getränke in Einweg-Verpackungen haben einen spürbaren Vorteil: Sie sind wesentlich leichter als Getränke in Glasflaschen. Durchschnittlich trägt ein 4-Personen-Haushalt jährlich 741 Kilogramm an Wässern in EinWeg mit Pfand Getränkeverpackungen nach Hause. Stolze 1.386 Kilogramm sind es bei den Glas-Mehrwegflaschen im 12er-Kasten. Für ältere und körperlich eingeschränkte Menschen wird die 70 Prozent Mehrweg-Quote Beschwerlichkeiten mit sich bringen. Sogar beim Leergut ist der Gewichtsunterschied groß: Inklusive der Kästen ist das Leergut der Mehrweg-Glasflaschen 41 Mal schwerer als die leeren EinWeg PET-Flaschen.

Welche Konsequenzen hat die 70 Prozent Mehrweg-Quote auf das Leerguthandling?

Probleme sieht die GVM beim Erreichen der definierten Quote auf das Leerguthandling zukommen. Zwar wird angenommen, dass die Anzahl der Rückgabe-Pfandautomaten nur leicht zunehmen wird, dennoch werden Investitionen erforderlich sein.

Die Zahl der Rückgabe einzelner leerer Flaschen wird um 23 Prozent sinken. Dagegen wird die Rückgabe leerer Mehrwegflaschen und -kästen um stattliche 109 Prozent ansteigen.

Leere Einweg Getränkeverpackungen werden noch im Pfandautomaten zerkleinert und benötigen somit viel weniger Platz als Mehrweg-Glasflaschen, die auf Tischen oder in Behältern aufbewahrt werden. Ihre Sortierung geht außerdem vieler Orts manuell vonstatten. Das wiederum erfordert einen erhöhten Personal- und Zeitaufwand.

In Deutschland existieren etwa 45.000 Pfandautomaten. Von diesen müssten der GVM-Studie zufolge 8.000 bis 12.000 auf die Rückgabe von Getränken in Mehrwegverpackungen umgerüstet oder sogar ausgetauscht werden. Zahlreiche Discounter müssten in neue Pfandautomaten investieren, vor allem, wenn sie auch Mehrweggetränke in Kästen anbieten möchten. Gleichzeitig erhöht sich der Platzbedarf, der zu Lasten der Warenpräsentation gehen wird.

Was bedeutet die 70 Prozent Mehrweg-Quote für die Abfallbelastung?

Die Abfallbelastung zu reduzieren, ist ein Ziel des Verpackungsgesetzes. Doch bei Erreichen der 70 Prozent Quote und in einem etablierten Mehrwegsystem wird die Abfallbelastung nach Recycling um 2.000 Tonnen steigen. Wird die 70 Prozent Mehrweg-Quote erreicht, steigt der Anteil der nicht stofflich recycelbaren Menge um 2 Prozent auf 10 Prozent. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass bepfandete PET-Flaschen im Vergleich mit Getränkeverpackungen aus Glas eine bessere stoffliche Verwertungsquote erzielen. Dieses ist beispielsweise eine Folge von Glasflaschen, die beim Verbraucher zu Bruch gehen.

Um richtige Entscheidungen treffen zu können, benötigen Verantwortliche Orientierungshilfen, Untersuchungen und Zahlen. Mit der GVM-Studie legt der BGVZ diese Hilfen vor: Ökonomisch hätte ein Erreichen der 70 Prozent Mehrweg-Quote erhebliche Folgen. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass die Sortenvielfalt aufgrund der Mehrweg-Quote abnehmen wird. Das heißt: Weniger Auswahl für die Konsumenten, die zudem mit höheren Kosten rechnen müssen. Neben der Stärkung des Mehrwegsystems soll mit der Mehrweg-Quote Abfall vermieden und das „Recycling von Getränkeverpackungen in geschlossenen Kreisläufen gefördert werden. Ziel ist ein Anteil von in Mehrwegverpackungen abgefüllten Getränken in Höhe von mindestens 70 Prozent.“ (VerpackG §1 Abs. 3). Bereits jetzt ist sicher, dass dieses Ziel nicht erreicht werden wird.

Die GVM-Studien finden Sie hier.

Quellenangaben

* Alle Zahlen: Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM), 2019

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